Der folgende Text wurde 1979 von Peter Tobiasch und Norbert Saßmannshausen für die Zeitschrift SPUREN geschrieben. Anläßlich des 70. Geburtstages von Udo Lindenberg aus dem Archiv geholt.
DRÖHNLAND
Nur´ne Rock-Revue – Udo Lindenbergs Panik-Tournee 1979
Sicher muß ein Artikel über ein Rock-Ereignis wie der Tournee von Udo Lindenberg und dem Panikorchester sehr verschieden ausfallen, je nachdem ob diejenigen, die schreiben zu Rock-Musik ein Verhältnis haben, wie der Herr Pfarrer zu den Pornoheften – bewußtseinsmäßig „darüber hinaus“, aber ab und zu sündigend -, oder Rock ansehen als ein Stück eigene Geschichte, eigene Emotion, eigene Kultur.
Klar: musikindustriell produziert, für den Markt geschneidert, goldene Nasen für die einen, Schröpfung für die anderen – unbestritten.
Also nur reingefallen auf geschickte Vermarktungskünste? Nur Fluchtbedürfnis und Ersatzbefriedigung?
Bitte keine schnellen Schablonen.
Man mag durch Rock berührt werden oder nicht; man mag sich durch Lindenbergs Versuch und Art, Rock und die Sprache, die wir verstehen, zusammenzubringen, angesprochen fühlen oder nicht. „Nur sollte man sich hüten, die Bewertung zu einer Geschmacksfrage zu machen. Nur durch die eigene Biographie gefiltert, ist das Urteil was wert.“ (Amendt in ,konkret‘) Das ist der Punkt.
Reisefieber
Für uns als zwei von 12.000 Rock-Fans in der Frankfurter Festhalle begann das Ereignis schon damit: Wir füllten die ganze Halle. Doch eben nicht, weil die Stones, Zappa oder Genesis angesagt gewesen wären … Nur Zahlen? Nur Ausdruck eines gelungenen Werbefeldzuges? Die volle Halle, die Anwesenheit von mindestens drei Rock’n’Roll-Generationen – die ältesten vielleicht 3 x so alt wie die jüngsten – hat ja schon einen Stellenwert für sich. Das darf man ruhig vergleichen mit Gefühlen, wie sie uns angesichts der Massen beim Pfingstkongreß*oder anderen politischen Großkundgebungen überkommen: In dieser Einsamkeit produzierenden Gesellschaft, zumindest mit den Bedürfnissen, mit denen man für ein paar Stunden zusammenkam, nicht alleine zu sein. Auch die Grenzen der tatsächlichen Überwindung von Vereinzelung bei solchen Massenzusammenkünften lassen sich vergleichen. Unbedeutende Ersatzhandlungen?
Schlittenfahrt?
Die Dröhnland-Ouvertüre und Ole Pinguin laden akustisch und optisch ein zu dem, was bevorsteht; ein Ausflug in das Phantasieland des Rock – aber nicht ohne Rückkehr: Während der Lindenberg’schen Ausflugsfahrt auf Schlitten-kufen ins blaue Packeis und allzurascher Heimfahrt ans heimatliche Kaufhausmeer zeigt Oie, daß die Wärme und Herzlichkeit, mit der die Menschen miteinander umgehen, keine Frage von Außentemperaturen sind.
Lindenbergs Phantasiewelt liegt ganz und gar nicht jenseits der Realität; sie ist zunächst flachsige (aber nie zynische) Realitätsbeschreibung, die dann – meist bewußt nur an einem Punkt – Wertungen anders setzt, als es das Lied vorzugeben scheint. Mit Schneewittchen und Lady Whisky zum Beispiel läßt sich Lindenberg voll ein auf all die Angst und Verzweiflung, die diese „ganze blöde Welt“ brutal produziert, solidarisiert sich mit den Sehnsüchten und Hoffnungen, die Jugendliche (und nicht nur die) zu Alkohol und Drogen treiben, um dann ebenso brutal die Todesfratze ‚der Sucht freizulegen. Sensibel, romantisch, alles andere als kitschig
Sensibel, romantisch, alles andere als kitschig
Oder das Lied vom mehr als hundertjährigen Wesen namens Schmidt, das immer die Schnauze hält und alles mitmacht: Antifaschismus in Rock.
Oder Na und? !, die sensible und romantische, aber alles andere als kitschige oder gar schmalzige Geschichte von der liebevollen Begegnung des „alten Mädchenaufreißers“ Udo L. mit einem Schwulen, ohne die eigenen Ängste und Hemmungen zu verschweigen, voller Achtung für den andersliebenden. Sicher, nicht das gesamte Rock-Repertoire Lindenbergs ist so. Doch selbst solche harmlosen Liedchen wie das vom Bett-Män nehmen wie nebenbei Supermann-Ideologie auf’s Korn und verschreiben durch die Änderung eines Vokals eine lustvollere Alternative zur ‚einschließlich-fliegen-könnenden-über-Figur‘ des Bat-man.
Was man hier nur nacheinander beschreiben kann: das alles ist zugleich Rock, einfach strukturiert, nicht das neueste Modell vielleicht, der aber keinen, der auf Rock und Rock’n’Roll steht, ruhig auf den Stühlen sitzen läßt … ; ist zugleich eine aufwendige Bühnenshow, die all das auch optisch wahrnehmbar macht (Lindenberg: „Die Bebilderung meiner Texte“).
Und schließlich: Gleichzeitig zeigt die Show, daß es da einen Abstand gibt zwischen Rockshow und dem Leben der Konzertbesucher, einen Abstand, der nicht durch Realitätsnähe des Sängers zu überbrücken‘ oder zu überwinden ist, sondern durch eine Art von Vermittlungsarbeit. Die aufwendige Show betont diesen Abstand – alles andere wäre auch Lüge.
Die alten und die neuen Lieder: Jedesmal ein Traumgebilde zum Leben erweckt. Lieder vom Rock’n’Roll, seiner Geschichte, von dem, was Rock immer ausdrücken sollte: Laute Rebellion gegen den hirn-, herz- und körpereinschläfernden, müden Trott des Alltags. „Verdammt, wir müssen raus aus dem Dreck … „, Eric Burdons altes We got to get out of this place. Wer nicht alter Rock’n’Roller ist, würde nicht merken, daß es ’nur‘ eine Übersetzung ist, so gut passen Text und Musik – wenn Lindenberg selbst nicht bewußt den ‚historischen Zusammenhang‘ herstellen würde: Eric Burdon, einst Symbol in der anglo-amerikanischen Rockkultur für Rebellion gegen Krieg und Kälte zwischen den Menschen, ist da, singt dieses Lied in seiner Muttersprache zu Ende, dann noch zwei seiner alten Rocksongs. Das Zusammentreffen von Lindenberg und Eric Burdon ist natürlich eingebaut; Bestandteil einer Show, die mit ausgefeilter Präzision den Versionen der Tourneeabende davor und danach bis aufs Haar gleichen und doch mehr: Verbrüderung mit dem anglo-amerikanischen Rock, dem Ausgangspunkt und Vorläufer, für den es so lange keine Alternative in der eigenen Sprache gab; von dem wir manche Titelzeile – My Generation, I can’t get no Satisfaction, Street fighting man – verstanden, nicht viel mehr, und uns damit identifizierten. Ein Stück reale Wunscherfüllung.
Anfänge
Natürlich, deutschsprachigen Rock gab’s schon in den späten Sechzigern (Ted Herold und Peter Kraus noch zehn Jahre früher wollen wir mal vergessen). Damals, als ‚Ihre Kinder‘ spielten. Und später, wir wissen’s schon, die Scherben, die Flöhe auch. Aber insgesamt stimmt’s: Bis Lindenberg waren Versuche, Rock mit deutschen Texten zu singen, nicht über das Stadium „Na ja, gut gemeint“ hinausgekommen. Fast immer bemühten sich Linke um den deutschen Rock – entweder vordergründig (Flöhe) oder hintergründig (Scherben) – war der Rock-Song musikalisches Transportmittel, um bestimmte Parolen zu verbreiten. Und aller Unsinn, aller Quatsch, alle Nur-mal-so-Geschichten, die doch zum Rock‘ gehörten und gehören wie die Margarine aufs Brot, die tauchten nicht auf, waren ja nicht politisch genug. Der Text, die Aussage wurde jeweils so wichtig genommen, daß damit gleichzeitig alle Phantasieanzündvorgänge erstickt wurden.
Lindenberg hat da als erster ganz anders angefangen. Er gehört noch immer zu den leider ganz wenigen, die es mit deutschen Texten und einer intensiven Arbeit auch für’s Publikum machen. Und zumindest an diesem Punkt setzt er noch heute die Maßstäbe. Diese mögen strenggenommen – das heißt an den Maßstäben so manches strammen Linken gemessen – zu gering sein. Udo Lindenberg (und jetzt noch Nina Hagen) charakterisieren, wenn man so will, den Entwicklungsstand der deutschsprachigen Rockkultur; mehr ist eben noch nicht. Aber es fängt ja erst an…
Norbert Saßmannshausen, Peter Tobiasch
*Anmerkung 2016: Pfingstkongreß, das meint den im Juni 1976 in Frankfurt vom Sozialistischen Büro organisierten Kongreß gegen politische und ökonomische Unterdrückung.