Ich gehörte zu den Aktiven der Denkbar in der Schillerstraße. Die Denkbar in der Schillerstraße gab es von 1998 bis 2004. Die Neugründung der Denkbar in der Spohrstraße im Jahr 2011/2012 schien das zu ermöglichen, was eigentlich unmöglich erscheinen konnte: Die Wiedergeburt eines Mythos. Mitte 2014 war deutlich: Der Versuch einer neuen Denkbar in der Spohrstraße war gescheitert. Im Dezember 2014 schrieb ich einen Brief an den Denkbar-Gründer Christian Hellweg, in dem ich u.a. versuche die Faszination der Schillerstraßen-Denkbar nachzuzeichnen. Ich habe die “persönlichen” Momente in meinem Brief hier nicht weggekürzt, auch wenn es eine sehr spezifische Sicht auf die Denkbar ist.
[Norbert Saßmannshausen]

Im  Herbst 1999 traf ich in der Denkbar auf Udo Riechmann. An der Theke erzählte er von seiner großen Zeit – 1968. Diese Denkbar-Begegnung hat mir einen Freund in Udo zugeführt, darüber hinaus wurde auch ein Projekt meines Lebens der vergangenen 15 Jahre ausgelöst und erst möglich gemacht, nämlich die intensive Beschäftigung mit Hans-Jürgen Krahl. Die damals, 1999, mit Udo geplante Veranstaltung zum 30. Todestag von Krahl (13. Februar 1970) fand dann erst im April statt – war aber, auch mit Deiner Unterstützung, ein  großer Erfolg. Nicht nur viele Gäste, von Rupert von Plottnitz bis zu Bettina Röhl, der Tochter von Ulrike Meinhof,  etc. etc. – dem Referenten Detlev Claussen ganz zu schweigen. Diese Veranstaltung war auch deshalb ein Höhepunkt, weil einer der  wichtigen Stränge der Denkbar sichtbar wurden: Kritische Theorie in der Gegenwart zu präsentieren. Persönlich war es mein „Durchbruch“ in der Organisierung kultureller Veranstaltungen – dies sollte von da an mein Leben wesentlich bestimmen.

Einige Tage oder Wochen nach der  Krahl-Veranstaltung riefst Du mich an: Ob ich mir vorstellen könnte in den Vorstand des Denkbar e.V.  zu kommen. Du fügtest hinzu, um mir die Entscheidung leichter zu machen: Es sei im wesentlichen ein formales Ding. Ich erinnere mich noch heute daran, dass ich Dir darauf geantwortet habe: Wenn ich in den Vorstand gehen würde, dann würde ich auch ein aktiver Mensch dabei sein wollen.

Das war ich dann auch – einige wunderbare Jahre lang, anstrengend und schwierig und erfolgreich und beglückend. Lieber Christian, daran hast Du mit der Gründung der Denkbar den entscheidenden Anteil gehabt. Ich muss es nicht ausbreiten, nach und nach, im Laufe des Jahres 2001/2002 brach in der Denkbar ein Konflikt aus, den wir alle nicht bewältigten – leider. Das ist, erst Recht im Rückblick, sehr unglücklich gewesen, sehr zu bedauern. Denn die Stärke der Denkbar bestand für mich gerade darin, dass die Denkbar Gegensätze in einem Raum versammelte, Widersprüche und  widersprüchliche Menschen und Ideen versammelte und an einen gemeinsamen Ort band. Die Denkbar verband kluge, aber langweilige Referenten mit klugen und spannenden Fragenden aus dem Publikum, die Denkbar verband Frechheit mit Smalltalk, Kritik mit Freundlichkeit, Aggressivität und Unverständnis mit übermäßigem Alkoholkonsum und freundschaftlichen Umarmungen. Die Denkbar war das, was  lebendiges geistige Leben ausmacht – zu viel an Anspruch für jeden von uns, aber dringend und unbedingt erforderlich.

Auch nach unserer Trennung, als sich der Verein und die Denkbar an unterschiedlichen Orten bewegten, war – meiner Meinung nach – diese Gemeinsamkeit nicht aufgehoben. Es war schade, dass wir keinen Weg zu einem gemeinsamen Ort gefunden haben, aber es blieb ein geistiges Band zwischen uns. Ich habe mich, als Organisator des DenkArt e.V. und als Mitgründer von Hajos Wiesengrund, immer als Sachwalter der Denkbar-Idee verstanden, die Du und Tamar in mein Herz gepflanzt habt.  Ich hatte mir, verzeih, diese Denkbar-Idee ganz und gar „angeeignet“ – und auch wenn ich immer die Urheberrechte  bei Euch angesiedelt habe: Im Laufe der Jahre wurde die Denkbar-Idee ganz und gar meine Idee.

Seit 1999 sind 15 Jahre vergangen – vor einigen Jahren wurde in der Spohrstraße eine neue Denkbar eröffnet und es dauerte nicht lange, und ich war mitten drin in dem neuen Projekt. Aber diese neue Denkbar entstand in einer neuen Zeit . Und: Diese neue Denkbar in der Spohrstraße war kein Anfang, sondern eine Art Wiederbelebung. Und: Sie bestand nicht wirklich aus einer (neuen) Gründergeneration. Wenn ich auf die Jahre der Spohrstraßen-Denkbar zurückblicke, dann sehe ich nicht nur die hervorragenden Musikveranstaltungen, sondern auch die mangelnde Festigkeit und Übereinstimmung und die fehlende innere Leuchtkraft des Neu-Beginns in der Spohrstraße. Die alte Denkbar hatte mehrere Dutzend Menschen stark in den Bann gezogen. Dieser Bann führte dazu, dass sich Dutzende von „uns“ für die Denkbar  in intensivster, manchmal übergriffiger oder „verrückter“ Weise, manchmal einfach schlicht aufopferungsvoll und praktisch-intensiv mit dem Projekt Denkbar eingelassen haben. Das war nicht immer selbstlos, aber es war immer verbunden mit der IDEE der Denkbar.